Das Gutshaus Drewen und die Stadt Kyritz


Drewen in der Ostprignitz wurde im Frühjahr 2003 als eigenständige Gemeinde aufgelöst und im Zuge der Neugliederungsgesetze des Landes Brandenburg der Stadt Kyritz zugesprochen. Eine Beschwerde Drewens beim Verfassungsgericht gegen die Eingemeindung hatte keinen Erfolg. Nachteile seien durch die Aufhebung seiner Selbstständigkeit nicht zu befürchten, das öffentliche Wohl werde auch zukünftig hinreichend beachtet, so das Gericht. Im  Urteil  verwiesen die Richter auf die Leitbilder zur ländlichen Entwicklung, die für Kyritz verpflichtend seien und infolge dessen sich der Autonomieverlust des Dorfes nicht negativ auswirken werde.

Die Geschehnisse der letzten zwei Jahrzehnte um das Gutshaus Drewen offenbaren in Wahrheit eine riesige Kluft zwischen den vollmundigen Versicherungen der Landespolitik und den tatsächlichen Handlungen der Stadt Kyritz. Kyritz hat die materiellen Vorteile aus der Gebietsreform bereitwillig angenommen, sieht auf der Gegenseite aber keine Veranlassung, sich für das langfristige Wohlergehen seiner Dörfer einzusetzen. Gebäude, die zuvor in Dorfbesitz waren, wurden durch die Stadt veräußert und historische Gutshäuser dem Verfall preis gegeben. Ein Politikum besonderer Art sind die Geschehnisse in Drewen.

Während man dem dortigen Gutshaus zu DDR-Zeiten hauptsächlich ästhetische Gewalt antat und es von seinem für sozialistische Verhältnisse unzeitgemäßen Dekor erlöste, befreite Kyritz es lange nach der deutschen Wiedervereinigung auch von seinen Mietern. Anfang 2021 hatte es die Stadt geschafft. Alle Bewohner waren vertrieben, sämtliche Wohnungen leer.

Zum Befreiungsschlag von der Last des alten Bauwerks holte man im Jahr 2018 aus. Nachdem Reparaturen und Erhaltungsmaßnahmen dauerhaft vermieden worden waren, fasste die amtierende Kyritzer Bürgermeisterin Nora Görke den Entschluss, den Abgesang für das Gutshaus einzuläuten. Sie hatte oft und wiederholt kundgetan, was sie von Drewen und dem Gutshaus hält: Die Stadt ist mit dem Gutshaus überfordert, der Fokus muss auf der Kernstadt liegen.

Die Befindlichkeiten der Dörfler, ländliche Entwicklung, historische und dörfliche Verbundenheit sind demnanch nichts, womit sie sich aufzuhalten gedenkt. Was den SMAD-Befehl Nr. 209 und 40 Jahre Mangelwirtschaft überdauert hat, ist heute mehr denn je in Gefahr. Jegliche Bemühung für den Erhalt des Bauwerks lehnt sie ab, auf alle Vorschläge folgt immer dieselbe Antwort: Die Stadt kann sich den Erhalt des Gutshauses nicht leisten. Dabei zirkulieren im Netzwerk von Politik, Verwaltung und Investoren große Fördersummen mitunter auch für die närrischsten und überflüssigsten Projekte ohne jeglichen Nutzen.

Im besagten Jahr 2018 wurde aus dem Fonds des städtischen Haushalts, der für die Förderung der Kultur bestimmt ist, eine sogenannte Machbarkeitsstudie finanziert. Den Auftrag dazu erhielt ein Berliner Bauunternehmen des Vertrauens. Es ist nicht bekannt, ob hierfür eine Ausschreibung erfolgte. Die Studie wies dann - oh Wunder - die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung aus. Als die beste Lösung wurde nun der Abriss des Seitengebäudes debattiert. Die Mehrheit der Stadtverordneten vertraute den Expertenberechnungen blind, schließlich präsentieren sich Zahlen gern als Fakten.

In der Bevölkerung trauten nicht alle den überhöht dargestellten Kosten. Franziska Franken, eine Urenkelin der vorletzten Besitzer des Ritterguts Drewen und angehende Architektin, fertigte in dieser Zeit gerade ihre Abschlussarbeit zum Gutshaus an. Darin gab sie Martin Gropius als Baumeister des Seitengebäudes an, also den Teil des Gutshauses, den die Kyritzer Verwaltung wahrscheinlich niedergerissen hätte, wenn dem nicht entgegengewirkt worden wäre.

Woher wusste sie, dass Martin Gropius der Erbauer war? Diese Frage stellte sich Carsten Boelter, der im Jahr 2020 Rittergüter der Ostprignitz erforscht hatte und in allen zugänglichen Unterlagen und Archiven keine derartige Urheberschaft fand. Alte Bauunterlagen in Frankens Familienarchiv belegten Gropius als Baumeister. Das war eine Sensation!

Ohne Zeit zu verlieren kontaktierte Boelter Arnold Körte - die unangefochtene Autorität zu Martin Gropius. In seinem Werk zum Berliner Baumeister war Drewen nicht erwähnt. Auch für ihn war das eine außergewöhnliche Neuigkeit, denn bislang galt die Villa Heese in Berlin als Gropius’ Erstling.

Ein Schritt ergab jetzt den anderen. Ende 2021 war das Gutshaus unter Denkmalschutz gestellt, ein erstes Aufatmen für alle Kulturmenschen und die Bewohner Drewens. Im Kyritzer Rathaus wurde das nicht so freudig aufgenommen. Man stimmte dort stattdessen in einen neuen Refrain ein: Eine Sanierung ist jetzt noch viel teurer.

Die Unterschutzstellung hat den Verfall bislang nicht eindämmen können. Parteipolitische Verstrickungen haben zum Entsetzen etlicher Bürger fragwürdige Methoden innerhalb des Kyritzer Verwaltungs- und Politikbetriebs offengelegt. Dabei ist mehrmals die bewusste Verbreitung von Falschinformationenen zutage getreten und der Verdacht auf ungesetzliche Abmachungen genährt worden. Im Zusammenspiel mit dem Unterlassen von Erhaltungs- und Reparaturmaßnamen wird offenbar das Ziel verfolgt, den Verfall des Denkmals bewusst zu beschleunigen.