Martin Gropius  -  Villa Heese / 1858


Bis zur Entdeckung der Urheberschaft des Gutshausanbaus in Drewen galt die 1858 von Gropius in Berlin für den Seidenfabrikanten Heese errichtete Villa als sein erstes eigenständiges Werk. Allerdings entstand zeitgleich der Anbau an das Gutshaus Drewen, der in seiner klaren Einfachheit auf die Schinkelsche Formensprache italianisierender Landbauten zurückgreift.

Zum Berliner Neubau heißt es in BERLIN UND SEINE BAUTEN von 1877: "Unter den zahlreichen von Martin Gropius geschaffenen Villenanlagen kann die bereits 1858 erbaute Villa Heese, südlich vom Kanal, in der Nähe des Lützower Ufers gelegen, als ein Muster für die kompendiöseste, und bei aller Einfachheit künstlerisch durchgebildete Art kleiner Landhäuser gelten. An den Facaden, die in einfachem Putzbau ausgeführt sind, ist bemerkenswerth die hier zum erstenmal versuchte tektonische Ausbildung der überhängenden Dachtheile in antikem Sinne; zwischen den vorgestreckten Sparrenköpfen sind Kasetten gebildet, welche auch an den Giebeln herumgeführt worden sind. [...]"


In den 1840er und 1850er Jahren kommt in Potsdam und Berlin ein neuer Typus romantisch geprägter Landhäuser auf, wo "auf eine zierliche künstlerische Erscheinung, auf eine wirkungsvolle und eigenartige Gruppierung der Bauten, auf eine gefällige Verbindung derselben in dem Garten ein immer größeres Gewicht gelegt [wird]" und wo die "auf Schinkel'sche Traditionen fußende Architektenwelt Berlins in der künstlerischen Behandlung des Privatbaues sich schulte."

Die Villa Heese ist ein gutes Beispiel für die eigenständige Weiterentwicklung dieses Bautyps. Ein einfaches Grundkonzept, nämlich die T-förmige und leicht asymmetrische Verbindung eines rechteckigen mit einem quadratischen Baukörper, wird um eine Vorhalle, einen Erker, eine Pergola und zwei Treppen ergänzt. Ungeachtet dieser Anbauten bleibt die Massenverteilung klar und schlicht, so dass die Tektonik immer eindeutig abzulesen ist.

Die durchgehende glatte Wand wird nur am Sockel unterbrochen, wo ein schmales Gesims diesen vom Hauptgeschoss trennt. Am Dachfuß betont die gestauchte Blattwelle den Übergang vom schwerlastenden Dach. Alle weiteren Details, die Fenster- und Türrahmungen, die Erkerstützen, Geländer und Dachsparren, sind auf ein gerade noch begründbares Minimum reduziert. In der Summe wirkt der Bau- trotz bescheidener Ausmaße - eher städtisch.

Dazu kommen Stilelemente, wie z. B. die gleichmäßige Reihung kleiner Rechteckfenster im oberen Viertel der Längsansicht, die dem Bau einen Anflug von akademischer Programmatik verleihen. Es wirkt, als wollte Gropius seinem Lehrmeister, den Tektoniker Boetticher, eine Huldigung aussprechen.

cit Arnold Körte - Martin Gropius Leben und Werk eines Berliner Architekten (1824–1880)